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Amok

Die Geschichte eines Amoklaufs

Erschienen am 01.02.2005
5,90 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783570301753
Sprache: Deutsch
Umfang: 176 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 18.4 x 12.6 cm
Lesealter: 12-99 J.
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

In der Schule war Alexander schon lange nicht mehr. Er, der schlechte Schüler, hat sich krank gemeldet, sich in eine Scheinwelt geflüchtet, sich in eine Liebesbeziehung mit Doro verrannt, die nur in seinem Kopf existiert. Doch dann fliegt Alex auf. Die Schule hakt nach, der Vater demütigt ihn, Doro nennt ihn einen Perversen ? und bei Alexander brennen die Sicherungen durch ?

Autorenportrait

Manfred Theisen wurde 1962 in Köln geboren. Er studierte Germanistik, Anglistik und Politik, forschte zwei Jahre für das deutsche Innenministerium in der Sowjetunion, arbeitete als Redakteur und leitete eine Kölner Zeitungsredaktion. Heute lebt er als freier Autor in Köln.

Leseprobe

1. 'Du hältst die Klappe, Alex! Ist das klar?' 'Ja.' 'Und du hast nichts gesehen.' Ich schüttle den Kopf. Robert unser Einsatzleiter fasst mich an den Schultern, sein Gesicht nah an meinem. Sein Atem riecht nach Zigarette. Er wiederholt: 'Du hältst die Klappe.' 'Ich sag schon nichts.' 'Dann ist gut.' Er sieht mich eindringlich aus grünen Augen an. Leere Seele. Robert ist kalt. Seine Daumen bohren sich unter meine Schulterblätter. Es tut weh. Er sagt: 'Beim nächsten Mal kannst du mitmachen, Junge.' Ich nicke. Dann wendet er sich ab und geht hinüber zu den anderen. Sie räumen den Stand von Artemis leer: modische Armbanduhren, Kulis, Füller. Artemis überzieht alles mit einer Glasur aus Blattgold - Funkel und Glitzer. In Halle 7 sind vierundzwanzig Aussteller auf der 34. Kölner Konsumwaren-Messe. Robert, Mark, ein Typ, den alle Zander nennen, und ich bewachen für den Falken-Wachdienst die Stände. Es ist mein erster Job bei den Falken. Meinem Vater fallen vermutlich zu Hause gerade beim ZDF-Nachtjournal die Augen zu. Wetterbericht und Traumland. Robert lässt das Rolltor hoch. Die Artemis-Sachen haben sie in zwei Umzugskartons gepackt. 'Hast du was?', ruft mir Robert zu und leuchtet mich dabei mit der Taschenlampe an. Seine Stimme hallt wie in einer Kirche. Und es ist genauso unheimlich wie in einer Kirche bei Nacht. Ich schüttle wieder den Kopf. 'Dann mach deinen Gang, Alex! Los! Geh schon!' Kaum habe ich mich umgedreht, ruft er: 'Hier ist alles in Ordnung, Alex! Besser wir klauen das Zeug als irgendwelche Kanaken oder die Russenmafia. Die nehmen nämlich nicht nur mit, sondern machen auch noch alles kaputt!' 'Ja, ja!', rufe ich. Robert lacht. Lacht er mich aus? Oder lacht er über seinen blöden Witz? Er ist ein primitiver Mensch. Seine Zähne stecken unordentlich im Unterkiefer. Karies. Er putzt sie sicher selten. Zahnseide kennt er nicht. Sein Lachen ist vergiftet. Eigentlich ist er eine bemitleidenswerte Kreatur. Doch Mitleid steht im Gegensatz zu Energie. Ich darf kein Mitleid mit solchen Menschen haben. Ich brauche Kraft für Doro, sehe uns eng umschlungen. Es ist schön mit ihr. Wir werden ein gutes Leben haben. 'Macht schon! Wir müssen den Scheiß wegschaffen.' Robert schreit seine Kumpels an. Ich wende mich endgültig ab. Es lohnt kein Blick. Die drei verschwinden in der Dunkelheit wie irgendwelche Zombies in ihre Erdlöcher. Tanz der Hexen. KlimbimMesse könnte die Messe heißen. Es gibt in Halle 7 nur Kitsch: Elefanten aus Porzellan mit roten Augen, vergoldete Amulette, Rosen aus Glas, Kerzenständer in Walfischform. Der meiste Schund wird nachher sicher in Ramschläden verhökert. Ein dumpfer Knall. Vermutlich die Heckklappe von Roberts Dienstkombi. Das Einzige, was hier richtig was wert sein könnte, haben Zander und Mark gerade verladen. Artemis. Mein Vater wird auf dem Weg ins Bett sein. Manchmal nimmt er sich noch ein Kölsch mit zu Mama. Oder er bleibt einfach auf der Couch. Schwarzes dickes Leder. Rind. Bequem. Er hat Rückenschmerzen vom Bett, sagt er. Du hast Rückenschmerzen von Mama, würde ich am liebsten sagen, aber ich halte die Klappe. 2. Die erste Straßenbahn geht um 4.20 Uhr vom Dom nach Ossendorf. Bis in mein Viertel sind es fünfundzwanzig Minuten. In Köln leben eine Million Menschen und fast alle haben jetzt das Licht aus. Ich werde vor fünf Uhr in meinem Zimmer liegen und meine Mutter hören, wie sie in die Küche geht. Von all den zerplatzten Träumen ist sie so dünn, dass sie klappert. Ihr Mund ist klein. Hinter jeder Tür kein Ausweg. Ihre Lippen sind schmal. Ich frage mich, wie mein Vater ein Stöhnen aus ihrem Körper pressen will. Ich habe die beiden nie gehört, wenn sie sich lieben. Nie. Sie färbt ihre Haare blond. Ich liege im Bett. Es muss jetzt etwa Viertel nach sechs sein. Die Ersten aus meiner Schule stehen auf. Mein Deckbett ist eine ausgewaschene Ferrari-Flagge. Rosa. Und ich sehe meine Mutter, wenn ich meine Augen schließe. Um sieben Leseprobe