Beschreibung
Editorial
Seit Monaten geht es im öffentlichen Diskurs hauptsächlich um die sogenannte »Corona«-Krise. Alle anderen Themen scheinen nachgeordnet: Die Naturzerstörung schreitet fort. Die sozialen Gegensätze nehmen zu, bedrohen die demokratischen Grundlagen und den zivilisierten Umgang miteinander. Der Konfrontationskurs in Medien und Politik gegenüber China wird verstärkt, weil das Versagen des Systems in der Pandemie den Westen weiter hinter China zurückfallen lässt. Rüstungsausgaben und aggressive Rhetorik steigen, während das System nicht in der Lage ist, einen nationalen Impfprozess zufriedenstellend zu organisieren.
Die Distanz der Bevölkerung zur Politik und zum System nimmt erkennbar zu. Leider äußert sich diese Distanz häufig in allerlei irrationalen Bewegungen, deren extremste Form als Faschismus Stärke gewinnt. Die Pandemie wird von den Herrschenden genutzt, um den Subjekten eine rationale Einsicht in ihre Lage zu versperren.
Wir nehmen den 50. Todestag von Georg Lukács im thematischen Schwerpunkt zum Anlass, hinter die Oberflächenphänomene politischen Geschehens in der Krise zu blicken. Claudius Vellay hebt hervor, dass das zentrale Merkmal des Menschen seine Teleologiefähigkeit ist. Klaus Weber beschreibt ausgehend von der »Einzigartigkeit des Menschen« die Kritische Psychologie als einzige Subjektwissenschaft, die die Verflechtungen des Subjekts mit seinen ökonomischen, kulturellen und sozialen Verhältnissen zum Thema macht. Nur die aktiven Handlungen der Subjekte können die Verhältnisse ändern, was aber weniger »Kampf«, sondern vor allem »viel Arbeit« bedeutet. Arnold Schölzel beschäftigt sich mit der in weiten Teilen der Gesellschaft zu beobachtenden »Zerstörung der Vernunft«. Sie wird in der Krise aktiv vorangetrieben und zur Sicherung der Klassenherrschaft notwendig, wie Lukács bereits vor 50 Jahren in seiner gleichnamigen Schrift ausgeführt hatte. Zwecke und Absichten menschlichen Handelns entwickeln sich durch aktive psychische und praktische Tätigkeit der Subjekte unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen. Die von Helga Hörz angestellten Überlegungen zu einer marxistischen Ethik stellen einen Leitfaden für ein humanes Handeln in der Krise zur Diskussion. Das Mensch-Natur-Verhältnis thematisiert Hans-Peter Brenner. Er verweist auf die existentielle Bedeutung der Naturgrundlage, der der Mensch zwar nicht ausgeliefert ist, der er aber auch nicht entfliehen kann. Über die gesellschaftliche und praktische Kooperation als Notwendigkeit für die Entwicklung von Handlungsfähigkeit schreibt Werner Zimmer-Winkelmann. Diese benötige veränderte Handlungs- und Kommunikationsbedingungen, die von den Subjekten bereits unter kapitalistischen Verhältnissen selbst geschaffen werden müssen. Abschließend betont Herbert Hörz in seinem Artikel u. a. die Bedeutung des »Utopie- Defizits«, das sich in einem kurzsichtigen politischen Alltagsgeschäft zeige und dessen Behebung für ein aktiveres Handeln zur Überwindung der Systemkrise notwendig sei. Kapitalismus ist kein Schicksal, sondern der Mensch als gesellschaftliches Subjekt ist dazu in der Lage, die Welt und sich selbst aktiv und bewusst zu verändern. Dazu ist eine Weiterführung der in diesem Heft geführten Debatte notwendig, nicht zuletzt weil diese Artikel zeigen, dass es auch in Grundsatzfragen unterschiedliche Ansichten zwischen Marxist:innen gibt. wzw
Inhalt
Gastkommentar
Trotz Corona – Unternehmerangriffe abgewehrt, Achim Bigus
Aktuelles
Die WTO hat eine neue Chefin, Simon Zeise
Bidens 100-Milliarden-Dollar-Atomraketen-System, Jeremy Kuzmarov
Anti-asiatische Bigotterie, Margaret Kimberly
Die US-Arbeiterbewegung und COVID-19, Sean Orr
Die Top Ten der Pandemie-Profiteure, MR online
Zum 100. Geburtstag der KP Chinas, Antworten von Patrik Köbele (DKP) auf Fragen aus China
Thema: Multiple Krise & marxistisches Menschenbild
Marxistische Subjekttheorie im Anschluss an Lukács’ »Ontologie des gesellschaftlichen Seins«, Claudius Vellay
Zwischen Ohnmacht und Befreiungshandeln – marxistische Subjekttheorien, Klaus Weber
Wider die Barbarisierung menschlicher Instinkte, Arnold Schölzel
Ethik als Leitfaden des Handelns für Individuum und Gesellschaft, Helga E. Hörz
Das Mensch-Natur-Verhältnis als Voraussetzung eines materialistischen Geschichts- und Politikverständnisses, Hans-Peter Brenner
Demokratisierung und Handlungsfähigkeit, Werner Zimmer-Winkelmann
Marxistische Strategien zur humanen Lösung aktueller Krisen, Herbert Hörz
Positionen
Historischer Materialismus – Aktualität und neue Perspektiven, Lothar Peter
Vor 50 Jahren – Gründung des MSB Spartakus (1971-1990), Beate Landefeld
Faschistische Propaganda gegen die Sowjetunion 1933-1945, Ralf Jungmann
Diskussion
Die Volksrepublik China als Projektionsfläche?, Helmut Dunkhase
Anmerkungen zu Helmut Dunkhases Beitrag, Vladimiro Giacché
Rezensionen
Elem Klimow, Komm und sieh, (Ulrich Schneider)
Claudia Weber: Der Pakt. Stalin, Hitler und die Geschichte einer mörderischen Allianz, (Holger Michael)
Brigitte Studer: Reisende der Weltrevolution. Eine Globalgeschichte der Kommunistischen Internationale (Raimund Ernst)
Johannes Feest, Definitionsmacht, Renitenz und Abolitionismus. Texte rund um das Strafvollzugsarchiv (Volkmar Schöneburg)
Domenico Losurdo, Der westliche Marxismus – wie er entstand, verschied und auferstehen könnte (Andreas Wehr)
Lea Grundig, Elfteiliger Bildzyklus zum Manifest der Kommunistischen Partei von Karl Marx und Friedrich Engels (Klaus Stein)
Thomas Metscher: Kunst. Ein geschichtlicher Entwurf (Dieter Kraft)
Klaus Müller / Stephan Krüger, Das Geld im 21. Jahrhundert – Die Aktualität der Marxschen Wert- und Geldtheorie (Holger Wendt)
Richard Detje / Dieter Sauer: Corona-Krise im Betrieb. Empirische Erfahrungen aus Industrie und Dienstleistungen (Rainer Perschewski)
Jenny Farrell: Revolutionäre Romantik. Die Oden des John Keats (Eva Petermann)